Hintergründe

George Gershwin: Rhapsody in Blue

Geburt eines Welthits

George Gershwin, Komponist der „Rhapsody in Blue“
© Gestaltanstalt

Klassik und Jazz haben nichts miteinander zu tun? 

 

Paul Whiteman sah das anders – und schrieb damit (zumindest indirekt) Musikgeschichte. Er wurde zum Geburtshelfer für mindestens ein heute hochberühmtes Repertoirewerk: George Gershwins Rhapsody in Blue.

Eigentlich wollte Gershwin sein später erfolgreichstes Werk nämlich gar nicht komponieren. Eine entsprechende Anfrage von Kollege Whiteman, für ein von ihm organisiertes Konzert in New York ein Jazzstück für Orchester zu schreiben, lehnte er ab: Er habe keine Zeit. Ob sich Gershwin später bei Whiteman für dessen nun folgenden riskanten Schachzug bedankte, ist nicht bekannt – die Musikwelt sollte es jedenfalls tun. 

 

Denn Whiteman publizierte unbekümmert, dass Mr. George Gershwin bereits an einem Beitrag zu dem erwähnten Konzert arbeiten würde. Der Komponist in spe erfuhr davon aus der Zeitung, keine zwei Monate vor dem Termin. Er nahm es sportlich, machte sich ans Werk – und vollbrachte gemeinsam mit Ferde Grofé, der die Instrumentation anfertigte, in etwas mehr als einem Monat das Unglaubliche: Er schuf ein Werk, das heute als Meilenstein der (nicht nur) amerikanischen Musikgeschichte gilt, indem es Elemente des Jazz und der Klassik auf geniale Weise verbindet.

Dabei geht es nicht nur um Groove und Harmonien; selbst der Jazzbrauch, zu improvisieren und bekannte Standards auf immer wieder neue Weise zu interpretieren, fand in der Rhapsody in Blue Anwendung. So wurde schon die Uraufführung am 24. Februar 1924 aufgrund der knappen Vorbereitungszeit jazziger als (möglicherweise) geplant: 

 

Da keine Zeit mehr gewesen war, den Klavierpart auszuschreiben, spielte Gershwin aus einer Bandpartitur und bekam dazu die Anweisung „Warte, bis dir einer zunickt“. Ein wenig Improvisation wird also wohl schon hier dabeigewesen sein. Das tat dem Erfolg keinen Abbruch, im Gegenteil: Der ausverkaufte Saal bejubelte Werk und Pianisten frenetisch.

Mittlerweile hat die Rhapsody in Blue sich selbst – einzigartig wohl für ein Werk des Klassikkanons – zu einer Art Jazzstandard gemausert und ist ihrerseits Inspiration für künstlerische Weiterverarbeitung und Neuinterpretation. Zwei Beispiele hierfür können Sie diese Saison bei den Heinersdorff Konzerten erleben: Im November präsentiert das Tokyo Philharmonic Orchestra die Rhapsody in Blue mit Jazzlegende Makoto Ozone am Klavier. Ozone ist bekannt dafür, auch klassischen Werken einen Hauch von Jazzflair zu verleihen – auf seine Interpretation darf man also gespannt sein!

Martynas Levickis und The Knights wiederum zeigen das Werk klanglich von einer ganz neuen Seite: Zum 100. Geburtstag der Rhapsody in Blue rief das amerikanische Ensemble im Jahr 2024 das Projekt Rhapsody ins Leben, das Gershwins Meisterwerk in zahlreichen Konzerten künstlerisch neu interpretiert. In der Tonhalle spielt der Akkordeonvirtuose und musikalische Wandler zwischen den Welten Martynas Levickis den Klavierpart unverändert (!) auf seinem Instrument, The Knights hauchen der Orchesterbegleitung temperamentvoll neues Leben ein. Perfekte Vorzeichen für ein frisches Hörerlebnis an der Grenze zwischen Klassik und Jazz! ◀