Hintergründe

See the music, hear the dance!

Eine Klangreise des Tanzes durch zwei Jahrhunderte

Ballerina im Sprung
© Adobe Stock

Seit jeher haben sie größten Einfluss aufeinander und sind oftmals unzertrennlich – Tanz und Musik. Nicht umsonst hieß es bei George Balanchine, dem Begründer des amerikanischen Balletts: „Dancing is music made visible“. Gleichzeitig wurden seit dem Barock nicht selten Tanzstücke komponiert, die nur zum Hören und Kontemplieren gedacht waren, nicht zum Schwingen des Tanzbeins. Eine Hochkonjunktur erlebten diese „Tänze für die Ohren“ im 19. Jahrhundert.

Dancing is music made visible
George Balanchine

Das goldene Zeitalter des Gesellschaftstanzes

Als Tanzkomponist hat sich Ludwig van Beethoven im Großen und Ganzen nicht hervorgetan, seine überragende Bedeutung liegt vor allem in seinen neun Sinfonien begründet. Dass diese aber durchaus tanzbar sind, bewiesen Choreograf:innen wie die „Mutter des modernen Tanzes“ Isadora Duncan, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Beethovens siebter Sinfonie zu Bewegungsexperimenten inspirieren ließ. Auch der gewaltige Sinfoniker Johannes Brahms kann übrigens durchaus zum (wenigstens innerlichen) Mittanzen inspirieren, wie seine zahlreichen Klavierwalzer beweisen.

Und wenn von Klavier und Tanz die Rede ist, dürfen natürlich zwei Namen nicht fehlen: Franz Schubert und Frédéric Chopin. Ersterer brachte in seiner österreichischen Heimat den beliebten Walzer vom Ballsaal in die Privathäuser und unterstrich so den demokratisch-egalitären Charakter dieses Modetanzes. Zudem erfreuten sich National- und Charaktertänze zu Beginn des 19. Jahrhunderts größter Beliebtheit. Schubert selbst komponierte eine Reihe von Deutschen Tänzen, Chopin wiederum avancierte mit seinen Mazurkas, Polkas und Polonaisen für Klavier zum „Walzerkönig“ der Pariser Salons.

  • Lang Lang
    Dienstag, 21. Oktober 2025 | 20:00 Uhr | Tonhalle, Mendelssohn-Saal
    Lang Lang

    Werke von Fauré, Schumann und Chopin

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    175,00 | 155,00 | 135,00 | 95,00 | 65,00 zzgl. VVK

Ein Paradebeispiel für den polnischen Nationaltanz auf der Bühne stammt übrigens vom einflussreichsten Ballettkomponisten des 19. Jahrhunderts, Pjotr Tschaikowsky. Seine Polonaise aus der Oper Eugen Onegin lässt Bilder nobler Abendgesellschaften einer aristokratischen Gesellschaft vor dem geistigen Auge entstehen.

Vom Volksfest in den Konzertsaal

Für die zeitgenössische Freude am Exotismus einerseits und das Erstarken eines Nationalbewusstseins andererseits stehen die vielen Tanzkompositionen mit Lokalkolorit, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Weg in den Konzertsaal fanden. Ein Beispiel dafür ist die ausgelassene Konzertouvertüre Karneval des Tschechen Antonín Dvořák, die, wie so oft bei Dvořák, Einflüsse der Klassik und Romantik mit Elementen der Volksmusik seiner Heimat verbindet. Béla Bartók entwickelte im Gegensatz dazu einen Musikstil, der die ungarisch-folkloristische Musiksprache mit Innovationen der musikalischen Moderne vereinte. Dvořáks Landsmann Bohuslav Martinů wiederum gilt als wichtiger Vertreter des Neoklassizismus. Und selbstverständlich fanden auch Nationalstile aus dem Süden Europas ihren Weg auf die klassischen Konzertbühnen. Der Spanier Manuel de Falla ist mit seiner lokal gefärbten Ballettkomposition El sombrero de tres picos (Der Dreispitz) ebenso ein Beispiel dafür wie sein Landsmann Isaac Albéniz. Auf der anderen Seite des Atlantiks wiederum verband etwas später der Argentinier Alberto Ginastera die traditionellen Rhythmen seiner Heimat mit der Klangsprache der Klassik.

Gesamtkunstwerke der Ballets Russes

Wie de Falla mit seinem Dreispitz war auch Igor Strawinsky für die Tanzkompanie Ballets Russes tätig, die zwischen 1909 und 1929 mit ihren revolutionären Projekten ganz Europa, insbesondere aber Paris elektrisierte: Sergej Diaghilew, der Impresario der Ballets Russes, hatte den jungen Strawinsky entdeckt und für das Auftragswerk L’oiseau de feu (Der Feuervogel) engagiert – dieses machte den Komponisten 1910 über Nacht berühmt. Es sollten noch zahlreiche Zusammenarbeiten folgen, keine jedoch erschütterte die Musikwelt wie Le sacre du printemps (Das Frühlingsopfer). Die Uraufführung dieses Balletts wurde 1913 zum handfesten Theaterskandal, Rangeleien im Publikum inklusive. Mittlerweile gilt das Werk mit seiner Polytonalität und den rhythmischen Eruptionen als Schlüsselwerk der Moderne und ist regelmäßig auf den Konzertpodien zu erleben: in der Tonhalle mit der Tschechischen Philharmonie und ihrem Chefdirigenten Semyon Bychkov.

Auch Strawinskys französischer Zeitgenosse Maurice Ravel gehörte zu den Komponisten, die für die Ballets Russes schrieben. Nach dem Erfolg von Daphnis et Chloé erhielt er 1919 einen weiteren Auftrag von Diaghilew: ein Ballett zum Thema Wiener Walzer. Und obwohl der Impresario La valse letztendlich ablehnte, gelangte das Werk – neben seinem Siegeszug auf den Konzertpodien der Welt – später doch mehrmals auf die Ballettbühne. George Balanchine schließlich, der letzte Choreograf der Ballets Russes und Begründer des New York City Ballet, entdeckte die vom Jazz inspirierten Klänge des Broadway-Tonschöpfers George Gershwin für das Ballett – eine Entdeckung, die 1970 in der Aufführung von Who Cares? kulminierte. Auch Gershwins berühmteste Komposition, die populär-beschwingte Rhapsody in Blue, lädt mit ihren jazzigen Grooves zum Mitwippen ein. Und wenn vom Tanz in Amerika die Rede ist, darf natürlich Leonard Bernsteins bahnbrechende West Side Story nicht fehlen, aus deren mitreißenden Tänzen der Komponist 1960 eine Suite für die Konzertbühne zusammenstellte.

Libertango für die Ohren

Ähnlich beliebt wie der Walzer als Gesellschaftstanz im 19. wurde der Tango im 20. Jahrhundert: Seit 2009 zählt er zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit der UNESCO. Und auch der Tango eignet sich natürlich bestens dazu, Lokalkolorit mit den musikalischen Innovationen der jeweiligen Zeit zu verbinden. Eine völlig neue Klangfarbe beispielsweise verlieh der Argentinier Astor Piazzolla dem feurigen Tanz, indem er das Orchester um Schlagzeug und elektrische Gitarre erweiterte und so den Tango Nuevo begründete. Bis heute inspirieren seine mitreißenden Werke mit ihren pulsierenden Rhythmen Künstler:innen weltweit zu choreografischer Umsetzung.

Mit Piazzolla schließt sich dann auch der Kreis von den Anfängen des Gesellschaftstanzes in der Walzerstadt Wien um 1800 bis zu den Tanzkompositionen des späten 20. Jahrhunderts. Und ob Theaterbühne oder Konzertsaal, Pariser Salon oder Privatkonzert, eins verbindet all diese Werke: die Einladung zum Hören, Schauen, Genießen. Lassen Sie sich mitnehmen auf eine genussvolle Klangreise des Tanzes durch zwei Jahrhunderte und gemäß den Worten Balanchines dazu ermuntern, Tanz zu hören: „See the music, hear the dance!“ ◀